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Mit einem ordentlichen Schwung und einem Liedchen auf den Lippen war sie heute früh aus dem Bett gestiegen, wobei man dabei wohl eher von einem Sprung sprechen konnte, dessen Auftrieb sogleich in einige Tanzbewegungen geflossen war, denen sie sich anhand ihres schallenden Handyweckers nicht hatte erwehren können.
Wie jeden Morgen war für sie der Gang zum Fenster in ihrem Schlafzimmer ein Muss und obwohl ein Nebel um die höheren Gebäude schlich und das Thermometer wohl etwas kühlere Witterungsverhältnisse anzeigen würde, war das typische strahlende Lächeln in ihrem Gesicht ungebrochen.
Sie liebte die Wärme, keine Frage, aber das Wetter konnte ihr einfach nicht die gute Laune verderben und wenn man es genau nahm, hatten die wenigsten sie bisher in einer anderen Gemütsverfassung zu Gesicht bekommen. Ein Tag zugebracht mit Niedergeschlagenheit war für die junge Inderin, die auf den Namen Tanila Devgan getauft, allerdings meist nur mit Tani angeredet wurde, ein vergeudeter Tag, jedoch konnte es einen ins Staunen versetzen, dass sie tatsächlich die meiste Zeit frohen Gemüts die Straßen der Stadt durchkämmte, obwohl es auf ihnen nur so vor missgelaunten, hektischen New Yorkern, Durchreisenden und Touristen wimmelte, deren teilweise aggressiven Ausbrüche doch noch jedem dazu veranlasst hat, sich in einen für den normalen Arbeitstag typischen Trübsinn zu verlieren.
So geschah es aber nicht mit Tani, die ihrem Umfeld mit einer Aufgewecktheit und Herzlichkeit begegnet,wie ein schwanzwedelnder Hund, der einfach nur spielen wollte und sonst nichts Böses von der Welt dachte.
Ihre unbeschwerten Umgangsformen erweckten zwar oft den Anschein, aber natürlich war sie sich dessen bewusst, dass die Welt nicht aus Pusteblumen und leckeren Kuchen bestand, so hatte es auch schon den ein oder anderen Vorfall mit einem etwas ungenießbaren Gast an ihrer Arbeitsstelle gegeben, bei dem man dann vom Glück sprechen konnte, dass das Kollegium mit vollem Einsatz hinter dem betroffenen MItarbeiter stand und die Situation gemeinsam bewältigt wurde.
Als Tani in die USA gekommen war, um so viel Entfernung zwischen sich und ihrer Familie zu schaffen, weil sie ihre Lieben vor dem, was in ihr steckte und sie schon ein ums andere Mal um ihr Erinnerungsvermögen gebracht hatte, in Sicherheit wissen wollte, hätte es sie mit der Wohnung und ihrer Anstellung in dem Diner echt nicht besser treffen können.
Als Kellnerin beschäftigt zu sein, war keine leichte Arbeit und stellte sie immer vor neuen Herausforderungen, was besonders ihre Geschicklichkeit mit Gläsern und Tassen auf die Probe stellte, doch sie hatte ihre Kollegen sehr lieb gewonnen, mit denen sie allesamt sehr gut klar kam.
Besonders mit Caden hatte sie sich eine Freundschaft auf Basis von vollem Vertrauen geschaffen, doch an diesem Tage teilten sie sich keine Schicht.
Statt seiner stand heute Amber auf dem Plan und da sie schon lange nicht mehr zusammen gearbeitet hatten, steckte die junge Frau noch immer voller Vorfreude, die Braunhaarige wieder zu sehen, obgleich sie schon einige Stunden Hände übergreifend die Kundschaft zusammen betreuten.
Amber war anders als Tanila eher zurückgezogen und trug ihr Herz weniger auf der Zunge als sie es tat, aber das tat ihrem Interesse für ihre stillere Kollegin keinen Abbruch. Im Gegenteil suchte sie meist sogar unbewusst die Gesellschaft solcher Leute, die einen Ausgleich zu ihr darstellten, doch an diesem Tage war etwas anders und das spürte selbst die Inderin, auch wenn es niemand so genau benennen konnte, was es denn war.
Den Tag über hatten sie allerdings reichlich zu tun, sodass sie sich damit eher weniger auseinandersetzte, bis sich etwas zur Stoßzeit ereignete, was niemand hatte so wirklich kommen sehen.
Der Gast an Tisch vier, der zu Ambers Aufgabenbereich zählte, war den Kellnern unter Mister Jeffersons Leitung, der sich zu dem Zeitpunkt in der angrenzenden Wohnung wie immer um diese Zeit um seine Kinder kümmerte, wohl bekannt, doch wer hätte schon damit rechnen können, dass dieser noch um Längen schlechter gelaunt war als ohnehin schon.
Aus dem Augenwinkel bekam Tani es mit, als sie mit einem vollen Tablett an der Szenerie vorbeihuschen wollte, wie ihre Kollegin nicht nur unsittlich angefasst, sondern auch auf eine sehr rüde Art angemacht wurde.
Manchmal hatten sie schon damit zu tun, dass einige Gäste ihre Finger nicht bei sich behalten konnten und ihre Zungen nicht im Griff hatten, doch was geschah dort mit Amber.
Tani verstand nicht recht, warum diese sich plötzlich den Kopf hielt, als habe sie Schmerzen, doch sie reagierte ganz intuitiv, als sie das Tablett auf einen der freien Tische abstellte und ihr sofort zur Hilfe eilte.
“Mister Rutherford, ich bitte Sie einzuhalten. Meiner Kollegin geht es nicht gut.”, sprach sie den penetranten Gast ruhig an, während sie einen Arm um ihre schmalen Schultern legte und versuchte, sie weg zuführen und vor den neugierigen Blicken abzuschirmen.
“Ich bin da Amber, keine Angst. Ich bin da.”
So hatte sie die junge Frau noch nie erlebt, so zittrig, so gequält.
“Hast du Schmerzen? Was ist passiert?”
Tani machte sich wirklich große Sorgen, wusste allerdings nicht, wie sie ihr helfen sollte, als ihr gut zuzureden.
@Amber Nithercott